"Auf die Straße! Politischer Protest in Deutschland"

Eingeladen zur Fachtagung „Auf die Straße! Politischer Protest in Deutschland“ hatte die Bundeszentrale für politische Bildung. Nach Hamburg gekommen waren viele, die sich mit Protest auskennen – entweder weil sie selbst seit Jahren in Bewegungen aktiv sind oder weil sie darüber forschen. Dieter Rucht, Urgestein der Protest- und Bewegungsforschung, sprach von der größten Fachtagung zu diesem Thema in der Geschichte der Bundesrepublik.

So hatten nun Wissenschaftler*innen gestern und heute Gelegenheit, von Zeitzeug*innen direktes Feedback auf ihre Thesen zu neuen sozialen Bewegungen zu bekommen. Für manche Beteiligten ein denkwürdiges Gefühl – früher etwa als Anti-Atom-Aktivist gesellschaftlich in die Ecke gedrückt und als Ökospinner verspottet, finden sie sich nun als interessante Objekte der Forschung und Thema für die Bundeszentrale für politische Bildung wieder. Das liegt daran, so zeigte es Rucht auf einer seiner Vortragsfolien, dass die Anti-Atom-Bewegung seit den 50ziger Jahren in der Bundesrepublik mit zu den stärksten Protestbewegungen zählte, die entschlossen kontra gaben.

Die Protest- und Bewegungsforschung hat festgestellt: Protest auf der Straße ist und bleibt – auch angesichts der neuen Möglichkeiten digitaler Medien – ein fester Bestandteil einer lebendigen Zivilgesellschaft. Das trifft nicht nur auf aktuell wachsende und viel beachtete Bewegungen wie Fridays for Future zu. Allein in Berlin werden pro Jahr rund 5.000 Protestversammlungen bei den Behörden angemeldet. In die breite Öffentlichkeit schafft es davon allerdings nur ein Bruchteil.

In einer der zahlreichen Diskussionsrunden erläuterte Marcus Bornheim, zweiter Chefredakteur bei ARD-Aktuell und damit zuständig auch für die Tagesschau, nach welchen Kriterien seine Redaktion auswählt, was relevant ist. Er verstand sich als neutraler Nachrichtenmann, der darstellt, was Akteur*in A sagt und daneben die gegenteilige Behauptung von B stellt. Aus dem Publikum kam der Wunsch nach mehr Haltung und Einordnung, z.B. zum Politikversagen beim Klimaschutz, doch Bornheim sah seine Redaktion da eher mit dem „Florett als mit dem Säbel“ kämpfen.

Wie problematisch, die kritiklose Übernahme von Informationen sein kann, wurde am Beispiel der polizeilichen Medienarbeit beim G20-Gipfel in Hamburg deutlich. Simon Theune vom Zentrum „Technik und Gesellschaft“ der TU Berlin wies darauf hin, dass die Polizei kein neutraler Akteur im Geschehen, sondern selbst Konfliktpartei sei. Der Deutungsrahmen für die Geschehnisse bei G20 sei von der Polizei schon im Vorfeld gesetzt worden. „Da kommt dann niemand mehr raus.“

Hartmut Aden von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, der auch in der Polizeiausbildung tätig ist, warf ebenfalls einen kritischen Blick auf das Verhältnis von Polizei und Protest. Die Polizei sehe Versammlungen als homogene Gebilde, obwohl es oft diffuse bunte Bündnisse seien, mit ganz unterschiedlichen Aktionsformen. Auch suchten die Beamt*innen – selbst an Hierarchien gewöhnt – immer nach einem Leiter der Versammlung. Der Polizei bescheinigte er ein ambivalentes Verhältnis zum Recht. Die Aufarbeitung eigener Fehler komme zu kurz. Die Bundesländer machten zudem keinen Gebrauch davon, ein liberaleres Versammlungsrecht umzusetzen.

Soweit kurze Schlaglichter auf ein sehr viel breiteres und anregendes Tagungs-Programm. Nach der Bildungsveranstaltung im Tagungshotel heißt es jetzt: "Auf die Straße!" An Anlässen für politischen Protest mangelt es nicht. Protestgeschichte wird gemacht.