Es geht um mehr als um Wald!

Der Rohstoff-Hunger Europas führt zu immer mehr Raubbau und Waldverlusten weltweit. Um hier gegenzusteuern, legte die EU-Kommission am 17. November 2021 einen ersten Gesetzentwurf gegen Entwaldung und Degradierung von Wäldern vor. Aber der ausschließliche Fokus auf die Wälder könnte das Gesetzesvorhaben ad absurdum führen.

ROBIN WOOD hatte den Gesetzentwurf bereits im letzten Jahr kommentiert: Er kann ein wichtiger Beitrag zum Schutz von Wäldern werden, doch er braucht in wesentlichen Punkten Nachbesserung. So sollten nicht nur Wälder im Fokus stehen, sondern auch andere wertvolle Ökosysteme wie Feuchtgebiete, Grasland oder Baumsavannen, die häufig ebenfalls durch den Anbau von Agrar-Rohstoffen degradiert und zerstört werden.

Außerdem soll dieses Gesetz bisher nur für besonders „entwaldungskritische“ Rohstoffe gelten, und zwar für Palmöl, Soja, Rindfleisch, Kaffee, Kakao und Holz und für bestimmte Produkte, wie Leder, Schokolade und Möbel.
Es fehlten aber sowohl kritische Hauptrohstoffe wie Kautschuk und Mais, als auch Produkte wie Palmölderivate oder Grillkohle. Zusammengenommen würde der Fokus auf Wald als einziges Öko­system und die unvollständige Rohstoffliste zu Verlagerungseffekten führen und das Gesetzesvorhaben zu einem riesigen Papiertiger werden lassen.

Petition: 50.000 Menschen für entwaldungsfreie Lieferketten

Seit der Vorstellung des Gesetzesentwurfs im November letzten Jahres ist einiges passiert. ROBIN WOOD startete Anfang Februar zeitgleich mit der Bündnisaktion auf dem Fußballfeld des FC Lichtenberg 47 (siehe Tatort Seite 8 oder hier) eine EU-weite Online-Protest-Aktion: Per E-Mail konnten Sie sich an die zuständigen Ministerien wenden. Mehr als 50.000 Menschen haben mitgemacht! Herzlichen Dank dafür! Pünktlich zum Treffen des EU-Umweltrats Mitte März wurden alle Protest-E-Mails versandt – in Deutschland an Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir.

Der EU-Umweltrat diskutiert

Nachdem die EU-Kommission ihren Gesetzentwurf vorgelegt hatte, sind nun sowohl das EU-Parlament als auch der Rat am Zuge. Der Umweltrat der EU traf sich am 17. März dieses Jahres und diskutierte den Entwurf – jeder Mitgliedsstaat hatte drei Minuten Zeit, seinen Standpunkt vorzutragen. Alle anwesenden Minister:innen sprachen sich zwar für das Lieferkettengesetz aus, viele warnten jedoch vor zu komplexen und zu teuren Regelungen oder einer Störung der Lieferketten.

Steffi Lemke blieb in ihrem Beitrag sehr oberflächlich, andere Minister:innen wurden konkreter, sprachen sich konkret für eine Erweiterung der Produktpalette aus oder auch für die Ausweitung des Geltungsbereichs auf weitere Ökosysteme neben Wald. Einige forderten Nachbesserungen in Bezug auf die sehr schwache Definition von Wald und eine Klärung in Bezug auf Walddegradierung. Andere waren damit zufrieden.

Manch Minister:in forderte eine differenzierte Betrachtung von Waldwirtschaft innerhalb der EU. Demzufolge müssten sich die Vorgaben für eine „nachhaltige Waldernte“ an nationale Praktiken anpassen, eine Vielfalt der Waldbewirtschaftungsformen müsse möglich sein, sprich: Keine Einschränkungen für Kahlschläge in Europa.

Der Ansatz der Geolokalisation von Anbaufläche oder Produktionsstandort wurde wegen potentieller Schwierigkeiten in der Umsetzung teils kritisch gesehen, von anderen Mitgliedstaaten jedoch begrüßt.

Die Umweltminister:innen werden das nächste Mal am 28. Juni zusammenkommen. Beobachter:innen erwarten von der französische EU-Ratspräsidentschaft, die Minister:innen bis dahin zu einem gemeinsamen Standpunkt zu drängen.

Und was passiert gerade im Parlament?

Aus dem EU-Parlament liegt ein erster Zwischenstand vor, der sogenannte Hansen-Report. Christophe Hansen ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Berichterstatter zu allen Entwicklungen der Verordnung. Am 24. März legte er seinen ersten Entwurf vor, in dem er Änderungen, Ergänzungen und Streichungen gegenüber dem Gesetzentwurf der Kommission vom 17. November kenntlich machte. Es gibt laut Hansen-Report zahlreiche Änderungen – die meisten zum Besseren. Hier einige Beispiele:

Erweiterte Produktpalette: Neben Rindfleisch, Soja, Palmöl, Kaffee, Kakao und Holz soll die Verordnung nun auch für Kautschuk gelten! Das wäre ein riesiger Erfolg! Außerdem gibt es weniger Ausnahmen für Untergruppen der Produkte – beispielsweise sind nun auch Palmöl-Derivate und Palmkernöl-Derivate inbegriffen. Fatal allerdings: Rindsleder und andere Produkte wurden wieder rausgeschmissen!

Neuer Absatz zu Kleinbauern und -bäuerinnen: Im Gesetzentwurf wurde bisher nur in einem Nebensatz erwähnt, dass sich die Verordnung negativ auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft auswirken könne. Mehr als ein Vermerk, sich dem Problem anzunehmen und die Zusammenarbeit zu stärken, war in dem Schriftstück nicht zu finden. Hansen schlägt nun vor, dass Unternehmen internationale Standards zu den Rechten indigener Völker und lokaler Gemeinschaften (IPLC) einhalten müssen. Außerdem sollen sie über Maßnahmen berichten, die explizit Kleinbäuer:innen unterstützen, die Vorschriften des Lieferkettengesetzes einzuhalten.

Geolokalisation: Laut Gesetzentwurf soll die Produktionsstätte bzw. das Feld, auf dem z.B. der Kaffee angebaut wird, per Standortkoordinaten bestimmt werden. Damit können Produkte zurückverfolgt und Entwaldung ausgeschlossen werden. Im Hansen-Report gibt es eine entscheidende Änderung – nicht die Koordinaten des Kaffeefeldes („plot of land“) sondern des Anbaugebietes („production area“) sind nunmehr nötig. Mit dieser Erweiterung vom Feld auf das Anbaugebiet (per Definition das Feld, der Betrieb, die Plantage, die Kooperative oder das Dorf) will man Kleinbäuer:innen entgegenkommen. Sie kann jedoch die Geolokalisation leider auch wirkungslos werden lassen.

Wie geht es jetzt weiter?

Der Vorschlag wird zurzeit unter den 27 Mitgliedsstaaten und im Europäischen Parlament diskutiert, insbesondere im Umweltausschuss: Dort wird über Hansen-Bericht im Juli abgestimmt. Im September folgt dann eine Abstimmung im gesamten Parlament.

Danach geht es in den sogenannten Trilog: Der Rat, das EU-Parlament und die Kommission diskutieren den dann vorliegenden Gesetzentwurf mit all seinen Änderung.

Landwirtschaft zerstört Ökosysteme

Etwa 80 Prozent der globalen Entwaldung ist auf landwirtschaftliche Produktion zurückzuführen. Zahlreiche Selbstverpflichtungen der Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten haben keine Abhilfe geschaffen: Die Landwirtschaft ist bis heute die Hauptursache für die Zerstörung von Lebensräumen, von Wäldern und anderen wertvollen und artenreichen Ökosystemen. Daher ist eine gesetzliche Regelung überfällig. Allerdings kann auch das beste Gesetz gegen Entwaldung unsere Erde nicht retten, wenn unser Wirtschaftssystem auf Wachstum gepolt ist und der Kosum weiter anwächst.