Alle Dörfer bleiben!

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20. September 2020: „Ich will Dörfer, keine Kohle!“ – Protest von ROBIN WOOD-Aktivist*innen am Aussichtsturm Indemann im rheinischen Braunkohlerevier.
Foto ▸ ROBIN WOOD

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Der Widerstand ist bunt und lebendig: Demo am 30. August 2020, Tagebau Garzweiler.
Foto ▸ Christoph Schnüll

Ganz aktuell: Der Energieriese RWE  hat diese Woche begonnen, Abrissarbeiten in Lützerath vorzubereiten. In dem Dorf am Tagebau Garzweihler leben noch vier Familien - ein Landwirt weigert sich seinen Hof an RWE zu verkaufen. Die Arbeiten werden von Protesten vor Ort begleitet. Eines der vom Abriss bedrohten Häuser wurde zeitweilig besetzt, am Dreikönigstag wurde zu einer Andacht und anschließendem Sternsingen in das Dorf geladen. Die  Initiative Alle Dörfer Bleiben bittet um Unterstützung vor Ort.

 

Mit der Kohlekommission und dem Kohlegesetz hat die Bundesregierung gehofft, den erstarkenden Protest gegen die Kohleverstromung zu befrieden. Die vergangenen Monate haben gezeigt, wie wenig dies zum Glück gelungen ist.

Dabei sind die zum Abriss bestimmten Dörfer in den Kohlerevieren vergangenes Jahr zu einem zentralen Aktionspunkt für die Anti-Kohle- und Klimagerechtigkeitsbewegung geworden. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind in Deutschland ca. 300 Dörfer dem Abbau von Kohle zum Opfer gefallen, mehr als 120.000 Menschen wurden umgesiedelt. Dass trotz des jetzt sogar politisch festgeschriebenen Endes der Kohleverstromung, Menschen weiterhin ihr Zuhause an den Klimakiller Kohle verlieren sollen, bewegt und empört viele. Wie auch 2018 in der Auseinandersetzung um den Hambacher Forst, wird hier der Kampf um Klimagerechtigkeit konkret und lokal verhandelbar. Es geht um den Erhalt der bedrohten Dörfer – aber auch um die Frage, ob es den fossilen Großkonzernen weiterhin gelingt, ihre privaten Profitinteressen politisch gegen den Schutz des Klimas und Allgemeinwohls durchzusetzen.

Im Fokus der Auseinandersetzung liegt das rheinische Braunkohlerevier. Hier sollen, wenn es nach Tagebaubetreiber RWE geht, bis 2028 noch sieben Dörfer umgesiedelt und abgerissen werden. Sechs davon liegen am Tagebau Garzweiler und eines am Tagebau Hambach – alle sind viele hundert Jahre alt. Zahlreiche der aktuell noch etwas über tausend Bewohner*innen wehren sich seit Jahrzehnten gegen die Zerstörung ihrer Dörfer. Auch klimapolitisch wäre der Abriss ein Skandal: über 600 Mio. Tonnen Kohle liegen alleine unter den Dörfern am Tagebau Garzweiler und würden, wenn sie verbrannt werden, massiv das Klima schädigen!
Doch weder Landes- noch Bundesregierung scheinen willens Klimaschutz und das Wohl der Dorfbewohner*innen gegen die Profitinteressen von RWE zu verteidigen. Die Bundesregierung hat den Abbau im Tagebau Garzweiler und die damit zusammenhängenden geplanten Umsiedlungen sogar im Kohlegesetz als energiepolitisch notwendig festgeschrieben. Dabei wird selbst für den aktuell beschlossenen verschleppten Kohleausstieg, die Braunkohle unter den Dörfern nicht mehr benötigt – das zeigte zuletzt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Der Kohlebedarf  im Rheinland beträgt laut des aktuellen Ausstiegsplans 672 Millionen Tonnen Kohle. Im Tagebau Hambach und Garzweiler wären ohne die Zerstörung von Dörfern oder des Hambacher Forsts noch 736 Millionen Tonnen Kohle förderbar.

Die Umsiedlungen haben im Rheinland zum großen Teil schon begonnen – Prozesse, die häufig langwierig und zermürbend für die Dorfgemeinschaften sind. Die Tagebaubetreiber verstehen es, die Bewohner*innen unter Druck zu setzen. Dazu gehören unter anderem Baumaßnahmen, mit denen die Lebensqualität in den Dörfern massiv eingeschränkt wird. So beispielsweise in Keyenberg, wo Anfang des Jahres lärmende Grundwasserpumpen neben noch bewohnten Häusern installiert wurden und Gräben und Wälle über Grundstücke von Bewohner*innen gezogen wurden.
 Das letzte Druckmittel, auf dem die Umsiedlungen beruhen, ist die Enteignung oder Grundabtretung, wie es im zuständigen Abschnitt des Bergrechts heißt. Damit kann denjenigen, die ihre Häuser und Grundstücke nicht an die Kohlekonzerne verkaufen wollen, diese für eine deutlich geringere Entschädigung entzogen werden. Doch daran, dass dies weiterhin verfassungskonform ist, gibt es gut begründete Zweifel. Denn die Möglichkeit zur Enteignung wird im Gesetz mit einem höheren Allgemeinwohlgrund verknüpft, der den Eingriff in die Grundrechte legitimieren muss. Ein vom BUND in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zeigt, dass die Braunkohleverstromung energiepolitisch massiv klimaschädlich und nicht mehr notwendig  ist. Dadurch ist dieser Allgemeinwohlgrund nicht gegeben und Enteignungen dementsprechend verfassungswidrig. Mit der Initiative Menschenrecht vor Bergrecht wehren sich Tagebaubetroffene auch juristisch gegen Enteignungen. Sie haben Anfang September Verfassungsbeschwerde gegen das Kohlegesetz eingereicht und wollen über ein Grundstück am Tagebau Garzweiler gegen die Enteignung klagen.

Der Protest für den Erhalt der Dörfer ist in den letzten Jahren merkbar breiter und vielfältiger geworden und reicht von klassischen Konzerten, über juristische Prozesse bis zu Baggerbesetzungen. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Bündnis Alle Dörfer Bleiben, in dem sich seit 2018 Betroffene aus den Dörfern aller drei deutschen Braunkohlereviere gemeinsam mit Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung organisieren (siehe Interview unten).

Davon zeugen auch die letzten Monate. Am Tagebau Garzweiler  wurde im Sommer mehrere Wochen lang mit Menschenketten, Aktionen zivilen Ungehorsams, kritischen Gottesdiensten, Dorfspaziergängen und vielem mehr gegen den Abriss der L277 protestiert. Am 30. August mobilisierte eine stattliche Zahl von Gruppen und Organisationen gemeinsam zu einer Demo an den Tagebau. Nur einen Monat später, Ende September, rief das Aktionsbündnis Ende Gelände zu Aktionen zivilen Ungehorsams für die Dörfer und für Klimagerechtigkeit auf.

Über 3200 Menschen schlossen sich den mit Rücksicht auf Corona diesmal dezentral organisierten Aktionen an und besetzen ein Wochenende lang Kohleinfrastruktur im Rheinland. Die Energie dieser Proteste ist ansteckend und mutmachend! Sie zeigt, dass sich die Anti-Kohle Bewegung, trotz eines  katastrophalen Gesetzes, nicht unterkriegen lässt. Wir werden weiter kämpfen: für Klimagerechtigkeit und dass alle Dörfer bleiben – weltweit!

 

Wir werden keine Ruhe geben!

Mit Toni von „Alle Dörfer Bleiben“ sprach im folgenden Interview Ronja Heise, ROBIN WOOD-Energiereferentin, über die Situation vor Ort, den kommenden Protest und Gründe für Hoffnung.

? Der Kohleausstieg ist beschlossen – trotzdem halten die Kohlekonzerne und die Politik daran fest, dass weiterhin Dörfer der Kohle weichen müssen. Was bedeutet das für euch, die ihr vor Ort schon so lange für den Erhalt der Dörfer kämpft?

! Der Kohleausstieg wurde mit dem neuen Gesetz auf 2038 festgesetzt, das ist viel zu spät – für unsere Dörfer und für das Klima. Das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu reduzieren, kann so nicht erreicht werden. Und schon heute sehen wir, welche Folgen die Klimaveränderung hat – besonders im globalen Süden, aber auch hier vor Ort durch Hitzesommer und Trocken­heit. Außerdem ist klar, dass die Kohle unter den Dörfern nicht benötigt wird, weil die Energieerzeugung auch erneuerbar möglich ist. Dennoch will RWE weiter daran festhalten, unsere Dörfer, Kirchen, Felder und Grundwasservorräte zu zerstören. Natürlich trifft uns dieses Gesetz hart, gleichzeitig erleben wir immer mehr Solidarität und Unterstützung für unseren Kampf um die Dörfer. Für uns ist es wichtig, dass möglichst viele Menschen um die Bedrohung der Dörfer wissen und sich die Situation vor Ort anschauen. Denn wir hören oft, dass viele erst begreifen was hier los ist, wenn sie es mit eigenen Augen gesehen haben.

? In den letzten Wochen gab es viele Protestaktionen gegen den Abriss der L277. Wie kommt das? Was ist das Besondere an dieser Straße?

! Das einzige, was den Tagebau Garzweiler noch vom nächsten bedrohten Dorf, Keyenberg, trennt, ist die Landstraße 277. Sie markiert daher eine zentrale Schutzlinie für die Dörfer. Mitte Juli wurde durch den Abriss des Asphalts auch eine wichtige Mobilitäts­achse für die gesamte Region zerstört. Wir haben daher zu Protesten rund um den Abriss aufgerufen und uns über die vielen unterschiedlichen Aktionen gefreut: Sitzblockaden, Demos, Gottesdienste oder Tanzaktionen. Seitdem gibt es auch eine Dauermahnwache an der L277 bei Lützerath, dem Dorf, das als nächstes abgerissen werden soll. Noch stehen die Bäume am Rand der Straße und wir werden auch in den kommenden Wochen und Monaten keine Ruhe geben, um diese wichtige Lebenslinie zu schützen.

? Der Erhalt der Dörfer in den Kohlerevieren ist zunehmend in den Fokus der Klimagerechtigkeitsbewegung gerückt. Wie erklärst du das?

! Wenn unsere Dörfer erhalten bleiben, kann natürlich auch die Kohle darunter nicht verbrannt werden. Hier liegen noch 600 Millionen Tonnen Braunkohle, die unbedingt im Boden bleiben müssen, um den Klimawandel mit all seinen globalen Folgen nicht noch weiter zu beschleunigen.
Schon jetzt trifft die Klimakrise diejenigen am härtesten, die am wenigsten dazu beigetragen haben – die ärmsten Menschen auf diesem Planeten. Deshalb geht es uns, neben den Dörfern hier in Deutschland, auch um die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen weltweit.

? Der Kohleausstieg wird massiv verzögert, die Bagger rollen weiter auf die Dörfer zu, während die Klimakatastrophe auch hierzulande immer spürbarer wird. Gibt es etwas, was dir Mut macht und hilft, dich trotz allem weiter zu engagieren?

! Der Erfolg um den Hambacher Forst hat uns neue Hoffnung gegeben – auch wenn der Hambi natürlich immer noch durch Trockenheit bedroht ist. Wir haben gesehen, dass es möglich ist, RWE in die Schranken zu weisen, wenn wir als Bewegung vielfältig, bunt und entschlossen sind. Unser Ziel ist es, dass die Dörfer hier am Tagebau Garzweiler zu einem neuen Ort der Hoffnung werden. All die Menschen, die uns auf so vielfältige Weise unterstützen, an unseren Protesten teilnehmen, ihre eigenen Aktionen machen oder uns von weit her Solidaritätsnachrichten schicken, machen mir Mut. Und ich hoffe darauf, dass sich uns noch viel, viel mehr Menschen anschließen werden, denn gemeinsam widerständig zu sein macht uns stark.