Anti-Atom-Protest bei Schneegestöber

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Foto ▸ Tim Christensen/ROBIN WOOD

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Foto ▸ Tim Christensen/ROBIN WOOD

Beinah 200 Menschen demonstrierten diesen Sonntag (3.12.) vor dem AKW Neckarwestheim – trotz dichtem Schneegestöber und frostigen Temperaturen. Christina Albrecht von ROBIN WOOD Stuttgart unterstützte die Demonstration mit einem Redebeitrag – viele andere ROBIN WOOD-Aktive waren vor Ort.

Redebeitrag von Christina Albrecht zur Demonstration am 3.12.

Liebe Menschen, die Ihr gekommen seid, um gegen den andauernden Wahnsinn der Atomkraftnutzung zu protestieren!

Als ich vor gut 10 Jahren begann, mich gegen Atomkraft zu engagieren, waren die Organisierenden in der Bewegung oftmals über 50. Nachdem 2011 der letzte Castor nach Gorleben gefahren war und zum 2. Mal feste Abschalttermine für die AKW gesetzlich geregelt wurden, fanden sich nur noch sehr vereinzelt junge Gesichter bei Demos und Konferenzen. Es brodelte zwar weiter an all den Anlagen im Land. Aber das Thema verschwand zusehends aus der öffentlichen Wahrnehmung. Damals versuchten Aktive bei Robin Wood aufzuzeigen, wie unzufriedenstellend heuchlerisch die Regierungsentscheidungen waren. Am deutlichsten zeigte sich das bei der Anreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefabrik in Lingen. Während den AKW viel zu lange Laufzeiten zugestanden wurden, galt und gilt für diese Anlagen weiterhin eine zeitlich komplett unbeschränkte Betriebsgenehmigung.

Mit verschiedenen Aktionen versuchten wir politischen Druck aufzubauen, damit diese Anlagen nicht weiter Brennstäbe in alle Welt liefern dürfen und damit den Betrieb zahlreicher AKW erst möglich machen. Aber erst mit den Skandalen rund um die belgischen AKW Tihange und Doel haben sich grenzübergreifend so viele Menschen gegen diese Machenschaften positioniert, dass es den Regierungen zusehends schwerer fällt, hier untätig zu bleiben.

An dieser Stelle möchte ich gedanklich einen kurzen Ausflug nach Frankreich machen. Denn auch in Bure setzen sich Menschen seit langem unter großem persönlichen Einsatz gegen das dort geplante Atommüll-Projekt namens Cigéo ein. Einige der beteiligten Unternehmen sind auch hier in Deutschland tätig. Nach der Vorstellung der französischen Regierung soll hier unterirdisch der hochaktive Müll aus den 58 aktiven AKW und sonstigen Atomanlagen zentral und unterirdisch gelagert werden. Das Lager hat noch keine Baugenehmigung, aber Aufträge wurden vergeben, erste Bauarbeiten durchgeführt. Seit über einem Jahr halten Aktivistinnen einen Wald besetzt, um sich diesen Arbeiten in den Weg zu stellen. Der Staat antwortet mit Gewalt, Prozessen und Hausdurchsuchungen auf den Widerstand der Bevölkerung. Für den Nikolaustag rufen Aktivistinnen zu einem dezentralen Aktionstag gegen das Endlager auf - weil der Umweltminister Nicolas heißt und das Endlagerprojekt kürzlich als kleineres Übel bezeichnete. Wir senden solidarische Grüße nach Frankreich!

Zurück nach Deutschland. Während also das Thema Atomkraft hierzulande nur noch leise schwelte, hat sich in den vergangenen Jahren eine kraftvolle und junge Bewegung gegen die Kohleverstromung entwickelt. Vor gut zwei Jahren hat „Ende Gelände“ zum ersten Mal mit einer echten Massenaktion knapp 1000 Menschen direkt in einen Braunkohletagebau mobilisiert. Bagger mussten abgeschaltet, Förderbänder stillgelegt werden. Noch bevor in Paris das 2-Grad-Ziel beschlossen wurde, sind Menschen aus halb Europa aktiv geworden und setzten dort ein deutliches Zeichen, wo der Klimawandel entsteht: im Kohleland Deutschland inmitten eines der größten Tagebaue überhaupt. Der Tagebau Garzweiler mit seiner 400 m tiefen Abbausohle gleicht einer Mondlandschaft und zeigt ganz direkt, wie massiv hier die Lebensgrundlagen der Menschheit zerstört werden. Inzwischen haben vier solcher Massenaktionen stattgefunden. Das Thema hat es in die Tagesschau, an die Stammtische und in die sozialen Medien geschafft. Und neben dem rheinischen und dem lausitzer Kohlerevier, formiert sich seit kurzem auch größer werdender Widerstand im mitteldeutschen Kohlerevier bei Leipzig. Auch hier ist Robin Wood mit am Start als einer von vielen Akteuren. Und erst letzte Woche mussten aufgrund des massiven Widerstands und einer Klage des BUND die Rodungsarbeiten im Hambacher Forst südwestlich von Köln abgebrochen werden. Ein toller Sieg für die Bewegung!

Die Kohlebewegung hat viel von der Anti-Atom-Bewegung gelernt. Es gibt nicht nur zahlreiche personelle Überschneidungen, sondern auch klare Parallelen zwischen Kampagnen wie „Castor schottern“ einerseits und „Ende Gelände“ andererseits. Was aber können wir in einer älter werdenden Anti-AKW-Bewegung umgekehrt von der schwungvollen und jungen Anti-Kohle-Bewegung lernen?

Wir können lernen, dass sich immer dort Menschen für den Erhalt dieser großartigen Welt mit ihren empfindlichen Ökosystemen einsetzen, wo es ganz konkret wird. Und da gibt es in letzter Zeit jede Menge ermutigender Beispiele: Am 5.10. während das Sturmtief Xavier über Nordeuropa tobte, ketteten sich 6 Menschen an die Schienen vor und hinter einen mit Uranhexaflourid beladenen Zug. Dieser Zug war auf dem Weg in die bereits erwähnte Urananreicherungsanlage in Gronau. Trotz Kälte, Sturm und sehr aggressiv reagierenden Polizisten gelang es den Aktivisten, den Zug volle 17 Stunden! aufzuhalten.

Aber auch hier am Neckar haben wir im letzten Jahr gezeigt, was sich mit entschlossenem Handeln bewirken lässt. Bei drei von vier Transporten sah sich das Schiff gezwungen zu stoppen. Mit phantasievollen Aktionen zeigten die im Bündnis organisierten Gruppen ihren Protest. Sie seilten sie sich mit Transparenten über dem Neckar ab, ketteten sich an einer Brücke fest und schwammen zuletzt sogar im eiskalten Fluss mit zahlreichen aufblasbaren Enten – dem Maskottchen des Bündnisses – dem Castor entgegen. Aber es ist noch nicht vorbei. Nicht mit den Castoren und eben auch nicht mit den Atomkraftwerken. Wir müssen nicht mal bis nach Fessenheim schauen, wo ein Störfall den anderen jagt. Hier vor unserer Haustür, in Philippsburg und Neckarwestheim soll noch weitere 5!!! Jahre Atommüll produziert werden. Tag für Tag wird das Risiko eines Gaues in Kauf genommen. Aber wir haben verstanden und tragen es weiter an unsere Freunde und Arbeitskollegen, vor allem aber an die junge Generation: Jeder Tag ist einer zu viel: Abschalten jetzt!

Legen wir die Bequemlichkeit beiseite und streiten wir kraftvoll dafür, Neckarwestheim und Philippsburg, Tihange und Doel, Temelin und Fessenheim gemeinsam stillzulegen. Auf dass kein weiterer Müll entsteht, der uns alle so endlos gefährdet.