Unfähig, einen Bahnhof zu bauen

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Foto ▸ Eberhard Linckh, Robin Wood

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Foto ▸ Marlyse Kernwein-Janzer

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Foto ▸ Marlyse Kernwein-Janzer

Rede von Monika Lege, Verkehrsreferentin von Robin Wood, auf der Großdemonstration gegen Stuttgart 21 anlässlich des 8. Jahrestages des 'Schwarzen Donnerstags'

Von Kastanien und Pflastersteinen

„Gebt auf Eure Bäume Acht, sonst wird der Park platt gemacht. Stoppt Stuttgart 21“. Das stand auf dem ersten Transparent von Robin Wood Stuttgart. Kletternde spannten es im Juni 2008 im Schlossgarten. Sie hockten oben in drei alten Platanen, die heute nicht mehr stehen. Vielleicht kam auch die Plattform-Technik zum Einsatz, mit der wir 2003 das erste Waldcamp von Robin Wood auf die Beine gebracht haben. Bei extremer Trockenheit und Waldbrandgefahr stiegen wir im Gundwald südlich vom Frankfurter Flughafen auf die Bäume, um den Wert dieses alten Waldes spürbar zu machen. Der Erhalt alter Wälder schützt das Klima. Fliegen ist der billigste Weg, den Planeten zu grillen.

Ich musste mich für dieses Waldcamp vor Gericht verantworten. Habe ich eine Versammlung geleitet, die oben in den Baumkronen eines von der Rodung bedrohten Waldes stattfand? Kann es überhaupt eine Versammlung oben in den Wipfeln geben und wenn ja, steht die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit über dem hessischen Forstrecht? Sind Baumkronen ein „öffentlich zugänglicher Ort“, was Voraussetzung für eine Versammlung ist? Das waren die Fragen, mit denen sich die Staatsanwaltschaft beschäftigte.

Weil wir hier für Demokratie und Bürgerrechte demonstrieren, auch dieses Detail: Die Akteneinsicht förderte damals zu Tage, dass die Polizei auch mutmaßliche Verwandte von mir und deren politische Haltung ermittelte.

Drei Waldcamps und eine neuntägige Baumbesetzung im Rhein-Main-Gebiet später begann die Besetzung des Kelsterbacher Stadtwaldes. In einem ungleichen Bündnis von autonomen und bürgerlichen Aktiven, Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen und Kommunalpolitik versuchten wir, die Räumung und Rodung des Kelsterbacher Waldes für die Erweiterung des Frankfurter Flughafens zu verhindern.

Es gab sogar schon eine rot-rot-grüne Koalitions- bzw. Tolerierungsvereinbarung, in der ein Moratorium für die Abholzung festgeschrieben war. Einzelne SPD-Landtagsabgeordnete stiegen aus, es gab Neuwahlen. Im Februar 2009 wurden rund 70 Hektar Wald geräumt und gerodet für eine vierte Landebahn.

Es gibt keinen ermittlungsrelevanten Zusammenhang. Es gibt auch keinen Business-Plan für erfolgreiche Kampagnenarbeit. Aber es gibt eine Idee und eine Energie, die die Kelsterbacher Waldbesetzung mit dem Stuttgarter Schlossgarten und dem Hambacher Forst verbindet.

Dabei ist der Grat zu abgeklärtem Zynismus und anti-zivilisatorischer Naturtümelei manchmal verdammt schmal. Ich hab´s noch mal nachgeguckt: Die antiken Kyniker oder Bettelphilosophen lehrten eine Rückkehr zum Naturzustand und zum einfachen Leben.

Das eingangs zitierte Transparent im Stuttgarter Schlossgarten vom Juni 2008 -„Gebt auf Eure Bäume Acht, sonst wird der Park platt gemacht“ - steht nicht für eine naive Verklärung vormoderner Verhältnisse. Alte Bäume und alte Wälder erinnern uns daran, was das Tagesgeschäft überdauert. Der Aufenthalt in der Krone eines Baumes mit dem Vielfachen des eigenen Alters kann tatsächlich dazu führen, über den Moment hinaus zu denken.

Was bleibt? Was will ich behalten? Was kann weg?

Vielleicht verbietet die Stuttgarter Grünflächenverordnung deshalb das „Schlafen auf Bäumen“. Sie war im Spätsommer 2010 die Rechtsgrundlage für die Räumung und Zerstörung des ersten Baumhauses von Robin Wood noch vor dem Schwarzen Donnerstag.

Acht Jahre können eine sehr lange Zeit sein. Die Kindergartenkinder vom September 2010 sind jetzt Teenager und haben mich größenmäßig eingeholt. Hier klafft ein riesiges Loch in der Stadt. Im September 2010 habe ich gebloggt, hier solle ein Einkaufszentrum mit angeschlossenem Bahnhof entstehen. Aber da sind nur ein Einkaufszentrum und ein Krater.

In meiner Tasche habe ich eine Kastanie. Die Kinder haben im September 2010 Kastanien gesammelt. Die Bäume vor dem „Leuchtfeuer“ in Hamburg stehen noch und sehen nicht großartig anders aus als damals. Für eine Kastanie sind acht Jahre eine kurze Zeit. Sie alle wissen, dass die Bäume hier im Schlossgarten nicht mehr stehen. Die Kastanien von den Bäumen hier im Park wurden am Schwarzen Donnerstag als Pflastersteine diffamiert. Den Baumbesetzer*innen unterstellte die Landesregierung „Aggressivität und Gewaltbereitschaft“.

Auf dem letzten Transparent von Robin Wood Stuttgart steht: „Erst wenn alles zerstört ist, werdet Ihr merken, dass sie unfähig sind, einen Bahnhof zu bauen.“ Angelehnt an die Weissagung der Cree, sinngemäß „Erst wenn der letzte Baum gefällt ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“

Acht Jahre sind für das Zerstörungswerk Stuttgart 21 mehr als genug.

Vergessen Sie nie den Unterschied zwischen Kastanien und Pflastersteinen. Lassen Sie sich von niemanden angebliche „Gewaltbereitschaft“ als Legitimation für gewaltsame Durchsetzung von Interessen weniger andrehen. Acht Jahre und unendlich viele Worte zur Schlichtung ändern nichts an den einfachen Gründen, warum Stuttgart 21 als Bahnhof nie funktionieren wird und die postfossile Verkehrswende blockiert.

  • Abbau von Schienenkapazität
  • Gipskeuper
  • Gleisgefälle
  • Kostenexplosion

Im Hambacher Forst hielt nun der Brandschutz aus dem Baugesetz für eine Legalisierung der Räumung her. Vor dem Hintergrund von Stuttgart 21 oder BER mit ihrem Mausefallen-Brandschutz stinkt das zum Himmel.

„Erst wenn alles zerstört ist, werden auch die Letzten merken, dass sie unfähig sind, einen Bahnhof zu bauen.“

Lassen wir es nicht soweit kommen. Die Kohle bleibt im Boden, und wir bleiben oben.